Hitlers Festungshaft in Landsberg

von Manfred Deiler.
Erstveröffentlichung in: Landsberg im 20. Jahrhundert – Themenhefte zur Landsberger Zeitgeschichte – Heft 1: Von Hitlers Festungshaft zum Kriegsverbrecher-Gefängnis N° 1: Die Landsberger Haftanstalt im Spiegel der Geschichte – ISBN: 3-9803775-0-4.

Am 11. November 1923 wurde Adolf Hitler wegen Hochverrats verhaftet. Sein Putsch im Bürgerbräukeller am Abend des 8. November war gescheitert, der Marsch zur Münchner Feldherrnhalle hatte in einem Blutbad geendet. Hitler wurde in einer Villa des Kunsthändlers Ernst Hanfstaengel am Staffelsee festgenommen. Die Arretierung bereitete der zuständigen Landpolizeistation Weilheim erhebliche Schwierigkeiten, da sie zwar über einen Lastwagen, nicht jedoch über einen geeigneten Kraftfahrer verfügte. Endlich fand man einen Bierfahrer der Gaststätte „Bräuwastl„, der sich bereit erklärte, das Automobil zu fahren um „den Hitler zu fangen„. Der Polizeibericht legte besonderen Wert darauf, zu vermerken, daß es sich bei dem hilfsbereiten Bierfahrer um einen „Sozialdemokraten“ handelte.

Hitler geriet nach seiner Verhaftung in eine schwere Depression. Er war überzeugt „erschossen zu werden„. Der Strafanstaltsoberlehrer a.D. und Gefängnispsychologe der Festung Landsberg Alois Maria Ott charakterisierte Hitler als einen „Hysteriker“ und „krankhaften Psychopathen, der einen Hang zu magisch-mystischer Denkweise habe„. Der „erste Eindruck“ war für Ott „eher enttäuschend„. In der Zelle 7 des Gefängnisspitals der Festung Landsberg begegnete er einem „finster blickenden, untersetzten, bürgerlichen Durchschnittsmenschen mit manieriert in die Stirn gekämmten schwarzem Haar und der sattsam bekannten gestutzten Bartfliege“ mit einem „breitflächig, gewöhnlichem Mund und einer breit ausladenden, etwas eingedrückten Nase„. Hitler schrie und tobte mit „weißlichgelben Schaumflocken auf dem Mund„. Enttäuscht vom Volk und voller Verbitterung erklärte er dem Psychologen: „Wenn ich einen Revolver hätte, würde ich den nehmen!“ Er war zum äußersten entschlossen und wollte sein Leben mit einem Hungerstreik beenden. Doch zu der von der Gefängnisleitung beabsichtigten Zwangsernährung kam es nicht. Hitler nahm sich die ermahnenden Worte des Gefängnispsychologen „zu der alten Ordnung Gottes zurückzufinden“ zu Herzen und hatte schon „am nächsten Tag seinen Hungerstreik aufgegeben“ und seine „behaglichen Räume in der Festung“ bezogen.

Gefängnisdirektor Otto Leybold hegte für seinen prominenten Häftling von Anfang an große Sympathien. So ist es auch nicht verwunderlich, daß er Hitler als „anspruchslos in seinen persönlichen Bedürfnissen, uneigennützig und höflich“ charakterisiert. Für ihn war Hitler ein Mann „von guter Selbstzucht und Beherrschung“ und ein „Vorbild für seine Haftgenossen„. In seinen Schreiben an die zuständige Justiz versicherte Leybold immer wieder, daß Hitler von der Politik „ganz und gar abgeschnürt“ sei und nichts mehr mit „verbotenen Organisationen und Bestrebungen“ im Sinn habe.

So unterstützt, überwand der Untersuchungshäftling Hitler schnell seine Depressionen. Da er sich nicht in Einzelhaft befand, hatte er ständigen Kontakt mit „seinen getreuen Mitkämpfern„, den Putschisten, die ebenfalls in Landsberg inhaftiert waren. Die Herrn Gefangenen ließen es sich gut gehen. Unter einer Hakenkreuzfahne wurden ihnen ausgesuchte Gaumenfreuden serviert. Sie schmiedeten Zukunftspläne, tranken, rauchten und spielten Karten. Die „Stimmungs- und Radaumacher“ unter den prominenten Häftlingen, so der Psychologe Ott, grölten und johlten nicht selten bis tief in die Nacht hinein und blieben nur „selten nüchtern„. Hitler hatte die Erlaubnis, jederzeit und solange er wollte, Besuche zu empfangen. Er nutzte die Gelegenheit und funktionierte Teile des Landsberger Gefängnisses, unter den Augen des Direktors Leybold, zu einer Schaltzentrale der braunen Bewegung um. Allein in der Zeit vom 3. April 1924 bis zum 20. Oktober 1924 empfing „der Führer“ 489 Verehrerinnen und Verehrer aus ganz Deutschland. „Stöße von Post„, Konfekt, Naschereien und „Liebespakete“ stellten die Anstaltsleitung vor eine schwierige organisatorische Aufgabe. Eilig wurden für die Hofhaltung Hitlers weitere Zellen bereitgestellt.

Wie anders sieht doch die Propaganda aus, die von den Nationalsozialisten über die Haft „des Führers“ in der Festung Landsberg verbreitet wurde. Schon 1933 konnten selbst Kinder in dem Album des Zigaretten-Bilderdienstes Altona-Bahrenfeld in einem Sonderbeitrag von Julius Schaub lesen: „Die vergitterte Festungsstube, die ihn aufnimmt, ist nur notdürftig ausgestattet mit einer eisernen Bettstelle mit Matratze, einer wollenen Decke, einem kleinen Tisch, einem Nachtschränkchen und zwei Stühlen. Nur von Zeit zu Zeit wurde die Eintönigkeit unterbrochen durch das Laden der Gewehre beim Ablösen der Wache oder durch das Klappern der Schlüssel, wenn der Aufseher seine Runde macht. In dieser Welteinsamkeit, abgeschlossen von der übrigen Menschheit, nur umgeben von seinen getreuen Mitkämpfern und Mitgefangenen, schuf der Führer sein großes Werk „Mein Kampf“. So manchen überkam Mutlosigkeit, doch wenn abends dann der Führer seine Leute um sich versammelte, um ihnen aus seinem im Entstehen begriffenen Buche vorzulesen, strömten Glaube, Zuversicht und Trost in die Herzen„.

Am 20. April 1924, neunzehn Tage nach seiner Verurteilung durch den Münchner Volksgerichtshof, feierte der Festungsgefangene Hitler seinen 35. Geburtstag. „Die schönsten Blumen schmückten den Geburtstagsraum“ und Geschenke von „Freunden und Anhängern“ wurden übergeben. Die Landsberger Post hatte eine Menge „Briefe, Telegramme und Liebespakete“ zu befördern. An seiner Zellentür drängten sich an diesem Tag 21 Gratulanten und ließen es sich nicht nehmen, ihre Glückwünsche persönlich zu überbringen.

Anstaltsdirektor Otto Leybold verschloß vor den munteren Umtrieben seiner prominenten Häftlinge beide Augen. Hitler und seine Getreuen hatten das Landsberger Gefängnis inzwischen zu einer perfekt funktionierenden Parteizentrale umgestaltet. In dieser Zeit wurde Hitlers gesamte Korrespondenz an die Geheimorganisationen unzensiert nach draußen geschmuggelt. Dies alles kann dem Gefängnisdirektor nicht verborgen geblieben sein.

Auf der Besucherliste von Adolf Hitler, die Leybold der Münchner Staatsregierung zuzuleiten hatte, finden sich viele Personen, die von Hitler wichtige Ämter und Positionen übertragen bekamen. Unter ihnen befanden sich „Altparteigenossen und Männer der ersten Stunde“ wie:

  • Ernst Röhm, Führer der SA und SS, 1933 Reichsminister ohne Geschäftsbereich
  • Erich Ludendorf, Generalstabschef im 1. Weltkrieg, Sieger von Tannenberg und Förderer Hitlers
  • Max Amann, 1933 Präsident der Reichspressekammer. Er erwarb sich durch sein rigoroses Vorgehen fast unbegrenzte Macht im Presseverlagswesen der Hitler-Zeit.
  • Wilhelm Frick, Abgeordneter des Reichstages, thüringischer Staatsminister, 1943/44 Reichsprotektor von Böhmen und Mähren
  • Adolf Wagner, Gauleiter des „Traditionsgaues“ München-Oberbayern, bayerischer Staatsminister des Innern und für Unterricht und Kultus
  • Julius Streicher, Mitglied des Reichstages und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“.

Unter den Besuchern waren nicht nur Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Geistlichkeit. Hitlers „Verehrerinnen und Verehrer“ stammten aus allen Schichten der Bevölkerung und kamen aus dem ganzen Reich. Auch Bürgerinnen und Bürger aus der Stadt und dem Landkreis Landsberg machten dem „Führer“ ihre Aufwartung und sind, allen voran der Eichmeister und spätere Ortsgruppenleiter der Landsberger NSDAP, Felix Danner, in der Besucherliste mit Namen und Berufsangabe aufgeführt.

Das antisemitische und rassistische Gedankengut, das Adolf Hitler während seiner Haftzeit in Landsberg in seinem Buch „Mein Kampf“ niederschrieb, das schließlich zur Vernichtung von 6 Millionen Juden führte, scheint bereits im Jahre 1923 in Kreisen der Landsberger Bevölkerung weit verbreitet gewesen zu sein. Nur so ist es zu erklären, daß in den Landsberger Geschichtsblättern“, deren Herausgeber der „Historische Verein für Stadt und Bezirk Landsberg“ war, in der Ausgabe Nr. 4 ungeniert die rassistische Hetzschrift „Landsberg protestiert gegen die Juden“ erscheinen konnte.

Am 1. April 1924, um 10,00 Uhr vormittags , wird dem Untersuchungshäftling Hitler im Münchner Volksgericht sein Urteil bekanntgegeben. Unter Betonung des „rein vaterländischen Geistes und des edelsten selbstlosen Willens der Angeklagten“ wurden die Mindeststrafen verhängt. Hitler ist zum „Vollzug seiner Festungshaftstrafe von 5 Jahren wegen Verbrechen des Hochverrats im Anschluß an die derzeitige Haft (in Landsberg) in Haft zu behalten. Vier Monate und zwei Wochen Untersuchungshaft werden angerechnet„. Gleichzeitig mit dem Urteil wird Hitler Bewährung nach Ablauf von sechs Monaten „in Aussicht gestellt„. Bereits im Oktober 1924 setzt der 2. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landgerichts die verhängte Strafe zur Bewährung aus. Dies hat Hitler unter anderem auch den unermüdlichen Bemühungen und der positiven Berichterstattung des Gefängnisdirektors Otto Leybold zu verdanken.

Im Sonderbeitrag des nationalsozialistischen Propagandisten Schaub kann man dazu folgendes lesen: „Die Monate vergingen. Das Weihnachtsfest stand vor der Tür. Die „Feldherrrn“ hatten sich bereits den Kopf zerbrochen, wie das Weihnachtsfest verlaufen sollte. Am 19. Dezember abends 10,00 Uhr, die Festungsinsassen hatten sich bereits schlafen gelegt, erschien der Direktor der Strafanstalt höchstpersönlich vor Adolf Hitler und brachte die frohe Botschaft, daß er frei sei. Am Morgen des 20. Dezember versammelte der Führer noch einmal seine Getreuen um sich, übergab das Kommando seinem späteren Stellvertreter Rudolf Heß und verabschiedete sich von seinen Kameraden“.

Hitler wurde am 20. Dezember 1924 um 12,15 Uhr aus der Haft entlassen. Die Reststrafe von „3 Jahren, 333 Tagen, 21 Stunden und 50 Minuten„, so der amtliche Vermerk, wurde ihm erlassen. Daß für Hitler die Strafentlassung nicht so plötzlich und unerwartet kam, wie es sein Freund Schaub glauben machen möchte, zeigt, daß er schon am 14. September 1924 beim Benz-Vertreter Jakob Werlin in München ein geeignetes Kraftfahrzeug für seine Haftentlassung bestellte.

Als Hitler, so Schaub, die Festung Landsberg verließ, „war das Festungspersonal nationalsozialistisch„. „Selbst der Anstaltsleiter konnte nicht umhin, an jenem 20. Dezember 1924, als er sich von seinem Gefangenen verabschiedete, zu bekennen: Ich glaube, heute bin ich selbst Nationalsozialist„.

Heute, nach fast siebzig Jahren, erinnert noch immer ein Gedenkstein vor dem alten Friedhof von Landsberg an den Namen des „hilfreichen“ und so „national gesinnten“ Gefängnisdirektors Leybold, der im Dezember 1927 mit der Goldenen Bürgermedaille der Stadt Landsberg ausgezeichnet wurde. Traditionen werden in der „romantischen Stadt am Lech“ eben hochgehalten. Die Strafanstalt Landsberg gibt es noch immer. Sie ist heute ein modernes Gefängnis im bayerischen Strafvollzug. Doch „alte Traditionen“ und „nationale Gedanken“ haben noch immer ihre Anhänger. Setzte sich doch, sehr zum Kummer des neuen Gefängnisdirektors, der Vorstand des 1993 in Landsberg neu gegründeten Ortsverbandes der Republikaner zum Teil aus Bediensteten der Justizvollzugsanstalt zusammen.

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Dokumente:

Haftbefehlt zur Festnahme Hitlers vom 11. November 1923 (PDF)

Dokumente Festungshaftanstalt Landsberg 1923/1924: Adolf Hitlers Festungshaft
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